- Louis Armstrong
- Louis Armstrong»King of Jazz« - eine amerikanische KarriereGibt es eine bessere Empfehlung für eine amerikanische Legende als den Unabhängigkeitstag? Auch wenn sich Louis Armstrongs eigene Geburtsangabe inzwischen als falsch erwiesen hat und er in Wirklichkeit, wie Gary Giddins 1988 nachgewiesen hat, am 4. August 1901 geboren wurde - der 4. Juli 1900 erscheint nach wie vor als der vielleicht sinnfälligste Ausdruck dieser im 20. Jahrhundert beispiellosen Musikerkarriere. Aus einem der heruntergekommensten Viertel von New Orleans stammend, ohne hinreichende Schulbildung aufgewachsen auf den Straßen und in schäbigen Kneipen (Honkytonks) unter Spielern, Zuhältern, Prostituierten und Dieben und zu alledem noch ausgestattet mit der für das damalige Amerika denkbar schlechtesten Voraussetzung, nämlich ein Schwarzer zu sein, sollte er nicht nur als erster Afroamerikaner überhaupt zu Weltruhm gelangen. Es gelang ihm auch, seine Popularität weit über den begrenzten Bereich des Jazz hinaus bis zu seinem Tod in New York am 6. Juli 1971 immer wieder aufs Neue zu bestätigen. Zahlreiche Superlative des Showbusiness und darüber hinaus markierten dabei seinen Weg. Darunter weit über 1 000 Titeleinspielungen auf Platte, nach wie vor das wichtigste Dokument für seine kreative Kraft. Daneben war er nicht nur »der bei weitem ausführlichste Musiker-Schriftsteller, den der Jazz je gekannt hat« (Giddins), ebenso ist über keinen Interpreten der Musik des 20. Jahrhunderts jemals so viel geschrieben worden wie über ihn. Außer zahlreichen Zeitschriftenaufsätzen veröffentlichte er die Biografie »Swing that music« (1936), die Jugenderinnerungen »Satchmo. My life in New Orleans« (1954) sowie den Interviewband »Louis Armstrong - a selfportrait« (1966), schrieb unzählige, oft seitenlange Briefe in alle Welt und Hunderte von Seiten weiterer Erinnerungen, die noch in seinem Nachlass (am Queen's College, New York) ruhen.Abgesehen von zahllosen Auftritten in populären Rundfunk- und Fernsehshows wirkte er in rund 40 Filmen mit. Vor allem in den 1940er- und 1950er-Jahren errang er als Trompeter und Sänger bei wichtigen Publikumsbefragungen und Abstimmungen immer wieder den ersten Platz; herausragend 1944 die Wahl zum Musiker des Jahres durch den renommierten Esquire-Poll und sein Auftritt im Kreise weiterer Stars als erster Jazzer überhaupt in der Metropolitan Opera von New York (auch auf Platte festgehalten). 1952 wählten ihn die Leser des Magazins »Down Beat« zur bedeutendsten Persönlichkeit der Musikgeschichte aller Zeiten.Kaum einem Pop-, geschweige denn einem Jazzmusiker außer Armstrong ist es bisher gelungen, über 60 Jahre hinweg immer wieder auf die ersten Plätze der Pop-Charts zu gelangen. Etwa 1926 mit »Muskrat ramble», 1932 mit »All of me« und 1956 mit dem Brecht-Weill-Klassiker »Mack the knife«. Was Jazzpuristen oft mit Verachtung straften - dank seiner unnachahmlichen Stimme und seiner Meisterschaft im Paraphrasieren einer Melodie verstand er es wie kein anderer, auch einfachste Songs wie »Blueberry Hill«, »C'est si bon«, »Mame« oder »Cabaret« noch in ein musikalisches Kleinod zu verwandeln. Der Höhepunkt kam dann 1964, als er sich mit »Hello Dolly« mehr als 20 Wochen lang in den internationalen Hitlisten behauptete und im Mai sogar die Beatles von Platz 1 verdrängte. Und als ob der rastlose Entertainer, der zeitlebens in Armstrong steckte, nochmals vom Olymp herabgestiegen sei, ging 1987/88 sein »What a wonderful world« erneut wie ein Vermächtnis um die Welt. Bereits 1968 in England auf Platz 1 gesetzt, steht dieser Titel wie kein anderer für das, was Millionen von Fans in aller Welt und viele seiner Freunde und Kollegen an Armstrong verehrten und was wohl für immer das ganz persönliche Geheimnis seiner Ausstrahlungskraft bleiben wird: Einfach unfähig, sich Feinde zu machen, konnte er auch dem schlichtesten Titel noch eine umfassende Botschaft von Liebe, Glück, Lebensfreude und Versöhnung abgewinnen. »Okuka lokole«, »der Zauberer des Dschungels, der die wilden Tiere durch seine Musik besänftigt«, nannten ihn nicht umsonst seine Musikerkollegen aus dem Kongo.Dies war längst nicht der einzige Titel, der ihm zuteil wurde. Rekordverdächtig allein die Zahl der Spitznamen, die man ihm seines großen Mundes wegen schon in seiner Jugend verpasste, als er mit acht Jahren in einer kleinen Gesangsgruppe auf den Straßen von New Orleans Barbershop-Songs zum Besten gab oder später in einer Besserungsanstalt für schwarze Jugendliche den ersten Kornettunterricht erhielt: Dippermouth oder Dipper (englisch »Schöpfkelle«), Gatemouth oder Gate (englisch »Tor«) und vor allem Satchelmouth oder Satch (von englisch satchel »Schulranzen«), aus dem später dann das berühmte Satchmo wurde. Am häufigsten wohl war die Anrede »Pops«, die auch er den meisten gegenüber, ob klein oder groß, benutzte. All das aber steht im Schatten der zwei Kronen, die das Schicksal für ihn bereithielt, zu einem Zeitpunkt, als er bereits als Mitglied der Kid-Ory-Band und durch Engagements auf Mississippidampfern im Orchester Fate Marable's über die Grenzen New Orleans' hinaus zu einer kleinen Lokalgröße aufgestiegen war: »King of Trumpet« und »King of Jazz«, beides Ausdruck der überragenden künstlerischen Bedeutung, die er in nur wenigen Jahren für die Entwicklung des Jazz insgesamt erreichen sollte, nachdem er sich, dem Ruf seines Förderers Joe »King« Oliver folgend, in jenen denkwürdigen Augusttagen des Jahres 1922 mit kaum mehr ausgestattet als einem Fischbrötchen seiner Mutter Mayann und einem alten Kornett von New Orleans aus nach Chicago aufmachte, um nichts weiter als »sein Horn zu blasen«.Improvisationen und Soli - unterwegs zum JazzDer Einfluss von Armstrongs Spielweise auf die Anfang der 1920er-Jahre für viele noch fremdartige Jazzmusik, die allerdings vor ihm kaum mehr war als eine sorglos hingespielte kollektive Tanzmusik, voll von Unstimmigkeiten im Zusammenspiel und mitunter auch schlicht falschen Tönen, vollzog sich in kaum mehr als fünf Jahren. Erste wichtige Station dieses Weges, der ab 1923 auch auf Platte umfassend dokumentiert ist, war nach seiner Ankunft in Chicago sein Einstieg in Olivers »Creole-Jazz-Band«, die bald danach berühmt werden sollte durch die bis dahin ungehörte Präzision in der Improvisation zweistimmiger Kornett-Breaks zusammen mit Oliver. Der frühe Instrumentaljazz kannte bis dahin kaum Improvisationen, sondern unterschied sich von anderer Musik lediglich durch seine forciertere Hot-Spielweise. In Olivers Band lernte Armstrong, bald der Star der Gruppe, seine zweite Frau Lil Hardin kennen, eine - im Jazz damals von Seltenheitswert - akademisch geschulte Pianistin, die auch musiktheoretisch großen Einfluss auf ihn hatte und ihn 1924 zum Ausscheiden bei Oliver bewog.Ende 1924 folgte ein Engagement in New York im Orchester Fletcher Hendersons, wo er mit seinen rhythmisch exakt neben dem Beat phrasierenden Trompetensoli erneut auf alle anderen Musiker der Band revolutionierend wirkte. Ganz deutlich ist sein überragendes Gewicht zu erkennen, wenn man Aufnahmen der Band vor und nach Armstrongs Eintritt vergleicht. Armstrong lehrte die Band zuallererst swingen, eine Tatsache, die später zu der Behauptung führte, Armstrong habe den »Swing«, das Nonplusultra allen Jazz, »erfunden«. Seine Auftritte bei Henderson machten ihn bald zum uneingeschränkten Vorbild aller Jazztrompeter, wie parallel nun auch seine zunehmend zur Geltung kommende Gesangsstimme mit ihrer unverwechselbaren Reibeisencharakteristik stilbildend wirkte auf das Ideal individueller Tonbildung, im Unterschied z. B. zur traditionellen Klassik seitdem ästhetisches Grundprinzip aller Jazzpraxis.Ende 1925 kehrte Armstrong nach Chicago zurück, wo er bald darauf mit seinen legendären Studiobands »Hot Five« bzw. »Hot Seven« - in dieser Zeit wechselte er auch vom Kornett zur Trompete - jene rund 80 Titel einspielte, die dann Jazzgeschichte schreiben sollten, indem sie den bis dahin noch vorwiegend kollektiven New-Orleans- bzw. Chicago-Stil ablösten zugunsten einer von Soloimprovisation und begleitender Band geprägten homophonen Spielweise. Diese verwies bereits in Richtung des Modern Jazz und stieß gleichzeitig die Tür auf zu der bald vorherrschenden Bigband- bzw. Swing-Ära, der auch Armstrong in den 1930er-Jahren, meist als Starsolist des Luis Russell Orchestra, folgte. Die Aufnahme des »West-End-Blues« vom 28. 6. 1928 gilt mit ihrer brillant einleitenden Trompetenkaskade vielen Jazzkennern nach wie vor als die wichtigste Jazzplatte aller Zeiten.Mehrfach um den Globus - the Ambassador »Satch«Schier übermenschlich erscheint die Energie, mit der Armstrong die Unzahl seiner Tourneeverpflichtungen bewältigte, als er mit seinen 1947 erstmals zusammengestellten »All Stars« mehrfach den Globus umrundete und über alle politischen Grenzen hinweg zum Botschafter des Jazz - »The Ambassador Satch« - aufstieg. »Der John Foster Dulles des Jazz. ..« nannte ihn die Zeitschrift »Ebony«. Eisenhowers Geheimwaffe im Kalten Krieg, hieß es im Weißen Haus. Zu dieser Zeit gab es vermutlich selbst im entferntesten Winkel der Zivilisation kaum jemanden, der nicht wusste, wer Armstrong war. Insgesamt hat Armstrong vermutlich mehr als 80 Prozent seiner Lebenszeit auf oder hinter Bühnen, in Aufnahmestudios, Hotelzimmern, Flugzeugen, Eisenbahnwaggons, Autos oder Reisebussen zugebracht. Als er 1943 mit seiner vierten Frau Lucille in der New Yorker Schwarzensiedlung Corona im Stadtteil Queens ein eigenes Haus bezog, war das seit seiner Kindheit vermutlich sein erster - und letzter - fester Wohnsitz.Die meisten Auslandsreisen führten nach Europa, das er bereits von zwei Überseereisen 1932 und 1934 her kannte. Am häufigsten, auch zu gelegentlichen Kurzauftritten, war er in England zu sehen, das nicht zuletzt durch das von hier ausgehende New-Orleans-Revival nach 1945 für Armstrong beinahe eine zweite Heimat werden sollte. Daneben tourten die All Stars durch Australien und Neuseeland (1954, 1956, 1961), Japan und den Fernen Osten (1954, 1956, 1963) sowie Südamerika (1957). Nicht selten wurde er bereits bei der Ankunft von Tausenden wartender Fans begrüßt und zum Auftrittsort geleitet. In vielen Städten spielte er in Sportstadien vor bis zu 50 000 Zuhörern. 1965 in Budapest anlässlich seiner ersten Osteuropatournee, die die »All Stars« auch in die DDR brachte, sollen es 95 000 gewesen sein. Die Auftritte im Ostberliner Friedrichstadt-Palast und in Prag sind auf Platte dokumentiert. Staatsoberhäupter gaben ihm zu Ehren Empfänge und zweimal, 1948 und 1967, hatte er Audienz beim Papst in Rom.Zu wahrhaft bewegenden Touren »Back to the roots« (»Zurück zu den Wurzeln«) wurden seine Afrikareisen 1956 und 1960. Beide begannen in Accra, der Hauptstadt Ghanas an der Golfküste, dem vermuteten Stammland von Armstrongs Vorfahren. Stammeshäuptlinge und einheimische Musikgruppen waren zum Empfang gekommen und veranstalteten einen spontanen Triumphzug mit ihm, festgehalten in dem Film »Satchmo the Great«. Das abendliche Open-Air-Konzert brach mit über 100 000 Zuhörern (»Life« schätzte eine Million) alle bisherigen Rekorde. Seine zweite Reise mit insgesamt 45 Konzerten war die längste seines Lebens und führte von Ghana aus durch zehn weitere afrikanische Staaten. Als er durch den Kongo fuhr, sollen die Waffen Lumumbas geschwiegen haben. In Südafrika, das ebenfalls geplant war, durften die »All Stars« als gemischtrassische Gruppe nicht auftreten.Kaum wieder zu Hause, ging es entweder ins Aufnahmestudio oder weiter im eigenen Land: New York - Chicago - Las Vegas - Detroit - Boston - Los Angeles - Hollywood - Atlantic City usw. 1949 wurde Armstrong beim Mardi Gras (Karneval) in New Orleans zum »King of the Zulus« gekrönt, 1965 ehrte ihn seine Heimatstadt mit der Schlüsselübergabe. Er spielte beim Ungarnhilfe-Konzert 1956 in der Royal Festival Hall in London ebenso wie 1960 im New Yorker Waldorf-Astoria zur Amtseinführung Kennedys und 1963 nach dessen Ermordung. 1957 und 1958 war er zu Gast beim Jazzfestival in Newport, wo 1970 auch sein Geburtstag mit einer »Salute-to-Satchmo-Night« gefeiert wurde. Etwa 40 Musiker gehörten während dieser rund 25 Jahre dauernden »Tour-de-force-du-Jazz« den »All Stars« an. Ein ständiges Kommen und Gehen, das nicht immer von Vorteil war für die musikalische Qualität seiner Begleitband. Manche seiner treuesten Begleiter, etwa der Pianist Billy Kyle oder die Sängerin Velma Middleton, starben unterwegs geradezu »in den Sielen« (Abbi Hübner, 1993).Steigende Popularität und Konzertverpflichtungen, Armstrongs sprichwörtliche Besessenheit, sich tagtäglich neu vor seinem Publikum beweisen zu müssen - »Meine Musik, meine Trompete sind mein Leben!« war ein immer wieder zu hörendes Credo seiner künstlerischen Existenz -, führten zu einem allmählichen Raubbau an seiner Gesundheit. Von geradezu tragischer Symptomatik für den Trompeter Armstrong, der sich mit seinem Instrument bis zur Erschöpfung verausgaben konnte, wurde sein Lippenleiden ab 1932, das sich trotz operativer Eingriffe stetig verschlimmerte. Ergreifend die Szenen, wenn er, nie aufgebend, nach einem Konzert mit dick angeschwollenen, blutenden Lippen die Bühne verließ - Folge eines Ansatzes, der im Gegensatz zur professionellen druckarmen Technik vor allem bei Spitzentönen, für die Armstrong berühmt war und die er liebte, durch übermäßiges Pressing des Mundstücks gegen die Lippen zur Verhornung der Mundschleimhaut führte. Ende der 1950er-Jahre stellte sich noch ein chronisches Lungenemphysem ein, was insgesamt dazu führte, dass sich Armstrong zunehmend auf das Singen verlegte und die Kraft seines strahlenden Trompetentones sowie der Reichtum seiner Jazzphrasen immer mehr aus seiner Musik verschwanden.Zwischen Minstrel-Show und Bürgerrechten1957 plante das State Departement mit Louis Armstrong eine Tournee durch die Sowjetunion, die allerdings nie zustande kam, da er sich weigerte, für sein Land zu repräsentieren. Anlass waren die Ereignisse im September 1957 in Little Rock (Arkansas), als der dortige Gouverneur Orville Faubus mit seinen Anordnungen die Aufhebung der Rassentrennung an den Schulen unterlaufen wollte. Armstrong, der am Fernsehen verfolgte, wie schwarze Schulkinder von Weißen bespuckt und am Betreten der Schule gehindert wurden, gab anschließend ein Zeitungsinterview, in dem er in scharfen Worten den Präsidenten angriff. Eisenhower habe »keine Durchsetzungskraft« und »zwei Gesichter«, da er das Land von einem »ungebildeten Ackerknecht« anführen lasse. Nach der Russlandtournee gefragt, antwortete er spontan, die Regierung solle sich zum Teufel scheren. »Wenn die Leute mich da drüben fragen, was ist mit meinem Land los, was soll ich ihnen dann sagen?« (New York Herald Tribune). Armstrongs Äußerungen, die wochenlang für Schlagzeilen sorgten und Eisenhower, der schließlich die Nationalgarde nach Arkansas schickte, zusätzlich unter Druck setzten, brachten ihm neben Sympathien auch vielfach Kritik, nicht nur aus dem weißen Lager, ein. Auch manche schwarzen Vertreter aus Öffentlichkeit und Kultur, etwa Sammy Davis jr., sprachen ihm das Recht ab, die Sache der Schwarzen noch zu repräsentieren.Tatsache ist, dass der Jazz und Louis Armstrong mittlerweile getrennte Wege gegangen waren. Mit wachsendem Selbstbewusstsein der Schwarzen verkörperte gerade Armstrong inzwischen für viele der jüngeren Generation mit seiner typischen Auftrittsmanier, den rollenden Augen im ewig strahlenden Gesicht und den mitunter peinlich wirkenden Bühnenmätzchen wie kein Zweiter den »Onkel Tom« klassischen Stils, den Spaßmacher alter Minstreltradition, den Alibi- oder Vorzeigeschwarzen, der ohnehin nur noch vor einem überwiegend weißen Publikum spielte. Hinzu kam, dass der Jazz mit der Revolution des Bebop begonnen hatte, sich zunehmend als eigenständige Kunstform zu begreifen, in die das Bild vom Jazzmusiker als bloßem Unterhaltungskünstler nicht mehr hineinpasste. Armstrong, der Meister der klaren Trompetenlinie, stand den »Boppern«, wie er sie abschätzig nannte, immer ausnehmend kritisch gegenüber: »Sie spielen eine Menge Noten, um einen einzigen Ton rüberzubringen.«Armstrong war kein politisch oder ästhetisch reflektierender Künstler, sondern ein Naturtalent, und seine gleichsam zweite Karriere als weltweiter Kulturbotschafter amerikanischen »Goodwills« nach 1945 war eher das Ergebnis einer von außen betriebenen Politisierung des Phänomens Armstrong, als dass er diese Rolle selbst je gesucht hätte. »Armstrong wuchs in einer Epoche auf, in der sich der amerikanische Neger nicht den Luxus erlauben konnte, Kunst zu machen, sondern höchstens seinen Mitmenschen unterhalten durfte« (Arrigo Polillo, 1981). Musik war für den Schwarzen seiner Zeit fast die einzige Möglichkeit, sich gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, um einigermaßen in Würde zu überleben. Was ihm, der tiefstes schwarzes Elend seit seiner Kindheit kannte, dank seiner Charakterstärke und seiner außerordentlichen Begabung erspart bleiben sollte, musste er bei vielen anderen Jazzern gerade seiner Generation, z. B. auch bei seinem Mentor Oliver, immer wieder mitansehen: Wie schmal der Grat im Showbusiness war zwischen momentanem Erfolg und jähem Absturz in abgrundtiefe Armut. Hinzu kam seine ständige Furcht, dass im Ansturm der Fanmassen oder gar bei Rassenkrawallen seine Lippen, seine Existenzgrundlage als Musiker, zerstört werden könnten. Dass er mit seinem Spiel tatsächlich die Tür zu einer völlig neuen Kunstform aufgestoßen hat, ist ihm wie vielen frühen Jazzmusikern wahrscheinlich nie richtig bewusst geworden. Paradoxerweise hat ausgerechnet der »King of Jazz« nur selten das Wort »Jazz« verwendet. Meist sprach er schlicht von seiner »Musik«.Kennzeichnend für ihn als unmittelbaren Nachfahren der letzten amerikanischen Sklavengeneration mag jener Ratschlag gewesen sein, den ihm ein Freund kurz vor der Abreise aus New Orleans mit auf den Lebensweg gab: »Sieh zu, dass du da oben im Norden immer einen Weißen hast, der dir im richtigen Augenblick die Hand auf die Schulter legt und sagt: Das ist mein Nigger!« (Armstrong, 1953). »Seinen Weißen« sollte Armstrong, der immer administrative Aufgaben scheute und auch die organisatorische Leitung seiner Bands gerne an andere abgab, ab 1935 in seinem Manager Joe Glaser finden, einem ehemaligen Al-Capone-Mann aus Chicago, dem er selbst bis in private, auch finanzielle Angelegenheiten hinein blind vertraute. Es ist möglich, dass Armstrong mit seiner lebenslangen Präsenz auf den Bühnen und in den Herzen der Menschen letztlich mehr für die Emanzipation seines Volkes und seiner Kunst getan hat, als es jede Bürgerrechtsbewegung vermocht hätte. Nicht ohne Verbitterung zurückblickend, sagte er 1967 in einem Interview für »Harper's«: »Nach einiger Zeit, als ich mir einen Namen gemacht hatte, ließ ich in meine Verträge schreiben, dass ich nirgends spielen würde, wo ich nicht auch bleiben dürfte. Ich war der erste Neger in diesem Geschäft, der die großen weißen Hotels geknackt hat - Oh yeah! Ich war da Pionier, Pops! Daran erinnert sich heute nur keiner mehr.«Die Nachricht von Armstrongs Tod im Juli 1971 ging wie ein Lauffeuer um die Welt. Kaum eine größere Zeitung, die nicht einen Nachruf auf ihn veröffentlichte. Sein Leichnam wurde in der Waffenhalle der Nationalgarde in Manhattan aufgebahrt, wo rund 25 000 Menschen ihm die letzte Ehre erwiesen. Seine Beisetzung in Corona begleiteten neben Tausenden auf der Straße und Millionen am Fernsehschirm viele Größen aus Politik und Showbusiness. In den Jahren darauf folgte ein Memorial-Konzert dem anderen, vor allem auch in seiner Heimatstadt New Orleans, die 1980 einen Park nach ihm benannte. Seine zweite Frau Lil Hardin starb während eines dieser Gedächtniskonzerte 1971 in Chicago auf der Bühne.
Universal-Lexikon. 2012.